Direct-to-Consumer (D2C): Herausforderungen, Chancen und Strategien für den stationären Handel und den E-Commerce
Direct-to-Consumer, kurz D2C oder auch DTC, ist längst nicht mehr nur ein Hype. Der Direktvertrieb von Produkten an Kunden ohne die Hilfe von Drittanbietern oder Großhändlern ist mittlerweile nicht nur bei Premiummarken, sondern auch im Mittelstand eine beliebte Strategie. Im Fokus steht dabei die Kundennähe, die nicht nur im stationären Handel, sondern auch im E-Commerce möglich ist. Welches Potenzial das so genannte "direct selling" birgt, welche Vorteile es gibt und wie Unternehmen den Ansatz umsetzen können, behandeln wir in diesem Blogbeitrag.
Große Marken wie Adidas, Nike, Tommy Hilfiger oder HUGO BOSS haben es vorgemacht und der Erfolg gibt ihnen Recht. Der Online-Handel als Direktvertrieb birgt großes Potenzial. Allein im dritten Quartal 2021 wurden 880 Mio. Euro im D2C E-Commerce umgesetzt. Eine tiefe und langfristige Beziehung zum Kunden aufzubauen und zu pflegen ist für Onlinehändler ebenso ein Must-have für den Markenerfolg wie ein performanter Shop. Fällt dabei der Umweg über einen Distributor bzw. Drittanbieter weg, ist die Customer Journey direkter und kundennäher. Es geht nicht mehr einzig und allein um den Verkauf von Produkten, sondern auch darum, Beziehungen zu gestalten und hinter seiner Marke eine Community zu kreieren. Daraus ergeben sich zahlreiche Chancen wie zum Beispiel neue Umsatzpotenziale, neue Zielgruppen und bessere Datenanalysen. Direct-to-Consumer wird zwar häufig als Vertriebsmodell bezeichnet, stellt aber eher ein Geschäftsmodell dar. Denn es ist eine der größten Chancen von Herstellern, neue Kunden- bzw. Zielgruppen zu monetarisieren.
D2C und Marketplaces
Dass D2C in beide Richtungen möglich ist, zeigt das Beispiel des Schmuckanbieters „Purelei“: Ein zunächst reiner E-Commerce-Verkauf – auch über Drittanbieter – kann durch ein stationäres Angebot mit eigenen Filialen ergänzt werden kann, um den Kunden so eine Offline-Experience mit exzellenter Fachberatung zu bieten. Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass Direct-to-Consumer nicht zwangsläufig bedeuten muss, den Händlern das eigene Produkt zu verwehren.
Jahrelang gewachsene Verbindungen zum Fachhandel sollten jedoch nicht ohne Weiteres aufgebrochen, sondern parallel aufrechterhalten werden. Ist ein Produkt beispielsweise im eigenen Shop nicht mehr verfügbar, besteht so die Möglichkeit, zum Händler zu verlinken. Auch Marktplätze wie Amazon oder eBay gehören zu D2C dazu. Dort kann man als Hersteller den Verkaufsprozess selbst abwickeln und Amazon nur als Verkaufsplattform nutzen. Wichtig ist es hier als D2C-Anbieter, dass man seine Marke richtig positioniert. Dazu gehören korrekte und detaillierte Produktbeschreibungen sowie die richtige Preispolitik. Bieten Händler das Produkt eines Herstellers an, verfassen sie oft eigene Produktbeschreibungen und machen ihre eigenen Preise – nicht immer zum Vorteil des Händlers.
Vertreibt man seine Produkte sowohl stationär als auch online, kommt man um das Thema Omnichannel nicht herum. Die Omnichannel-Strategie zielt darauf ab, ein geräte- und mediumübergreifendes Nutzererlebnis zu schaffen. Dabei sollen dem Kunden sowohl online als auch offline alle Kanäle simultan zur Verfügung stehen. Dafür werden Vertriebs- und Kommunikationskanäle konsequent verknüpft, sodass der Kunde jederzeit ohne Informations- oder Prozessbruch den Kanal wechseln kann. Dies erfolgreich umzusetzen, ist eine große Herausforderung, jedoch unumgänglich, wenn man auf mehreren Kanälen online und offline verkaufen möchte.
Herausforderungen beim Direct-to-Consumer-Ansatz
Viele Hersteller haben zunächst Bedenken, wenn sie über Direct Selling nachdenken: Nehme ich meinen Händlern das Geschäft weg? Mein Händler hat mich und meine Marke bekanntgemacht - kann ich ihn nun im Stich lassen? Während man sich vom Handel emanzipiert, muss man gleichzeitig auch einen Weg finden, um weiter mit ihm zusammen zu arbeiten. Daraus können sich eine Win-Win-Situation und viel Wachstumspotenzial ergeben, anstatt gegeneinander zu arbeiten. Denn die Händler haben bereits Ware gekauft und müssen diese auch weiterverkaufen. Dadurch ergeben sich viele Chancen für Marken und Händlershops, um Kunden von Anfang bis Ende einen Touchpoint bieten zu können.
Viele Hersteller unterschätzen Folgendes: Die Value Proposition, zu Deutsch "Nutzenversprechen", überträgt sich nicht automatisch vom Händler auf eine Marke selbst. Ob nun der eigene Webshop, das stationäre Geschäft oder sogar beides: Der Ort des Verkaufs muss zum „top place to buy“ werden. Dazu gehören nicht nur die Customer Experience, sondern auch Preise, Lieferzeit bei Onlinebestellungen oder Wartezeit beim Check-Out im Geschäft etc. Auch ein guter Webshop allein reicht nicht aus, denn er muss gemanagt werden wie ein eigenes Business, und zwar kontinuierlich und fokussiert. Leads müssen zu Kunden generiert werden, anschließend erfolgt das Lead Nurtering bis hin zur Transaktion und nachfolgend das Customer Relation Ship Management.
Wer in engem Kontakt mit seinen Kunden steht, muss diese Beziehungen auch entsprechend pflegen. Ein Händler sorgt zwar dafür, dass die Konsumenten beim ihm kaufen, es ist aber eher sekundär, was er verkauft. Für den Hersteller hingegen ist es wichtig, die Käufer langfristig an sich zu binden. Diese Loyalität zu managen und zu gestalten, stellt eine große Herausforderung dar. Die Produktexpertise, die ein Hersteller mitbringt, kann in einem eigenen stationären Geschäft zu Gunsten einer qualitativen und ausführlichen Beratung der Kunden zum Vorteil genutzt werden. Dafür muss jedoch entsprechend qualifiziertes Personal angelernt werden.
Potenziale und Vorteile von D2C
Der wohl größte Vorteil von Direct-to-Customer ist, dass man seine Marke nach den eigenen Vorstellungen aufbauen, eine eigene Customer Journey erstellen und die Marke so zum Erlebnis kann. Durch den direkten Kontakt zum Kunden erhält man auch direktes Feedback und eine daraus resultierende Datenbank an Informationen. Insbesondere für das Marketing ergeben sich dadurch viele Vorteile, denn alle Kanäle können entsprechend der Zielgruppen und ihrer Bedürfnisse bespielt werden. Ob E-Mail-Marketing, Content Marketing oder die Reaktivierung von Bestandskunden - die Möglichkeiten sind vielfältig. Der datengetriebene und personalisierte Ansatz sorgt für mehr Kontrolle und Gestaltungsmöglichkeiten über Customer Loyalty. Richtig angewendet kann der D2C E-Commerce für rasantes Wachstum sorgen. Denn neue Ideen können viel schneller entwickelt werden und an den Kunden getestet, ausgewertet und monetarisiert werden.
Ohne D2C sind Erfolge und auch Misserfolge kaum messbar. Doch mit dieser E-Commerce-Strategie erhält man verlässliche KPIs und einen guten ROI - so erkennen Unternehmen direkt, wo sie ihr Budget am effizientesten investieren können. Zudem erfordern Krisen, dass schnell und flexibel gehandelt werden kann. D2C unterstützt das auf zwei Arten:
- Infrastruktur: Eine Investition in eine starke Grundinfrastruktur ermöglicht es, die Daten sicher und zentral zu speichern und zu verarbeiten. Zudem ermöglicht eine technisch gute Infrastruktur das Aufsetzen weiterer Systeme, die langfristig zum Erfolg des Unternehmens beitragen können.
- Geschwindigkeit: Der Direktvertrieb profitiert davon, schneller zu sein als der Kauf über einen Distributor. Ein Unternehmen muss so nicht mehr den Weg über eine dritte Person gehen, sondern ist viel flexibler.
Beim direkten Verkauf der eigenen Produkte ergeben sich zudem Top-Line- und Buttom-Line-Potenziale. Die Bottom Line und die Top Line sind zwei der wichtigsten Zahlen in der Gewinn- und Verlustrechnung eines Unternehmens. Zu den Top-Line-Potenzialen zählen zum Beispiel Umsatzsteigerungen, direkte Kundenbeziehungen durch gezieltes Online-Marketing und Cross-Selling, Markenbildung und Loyalität sowie Internationalisierungschancen. Bottom-Line-Potenziale ergeben sich einerseits durch Gewinnmargen aufgrund des Direktvertriebs an Endkunden. Entgegen mancher Sorge der Hersteller, plötzlich ohne Zwischenhändler dazustehen, sollten eher Möglichkeiten gesucht werden, die Händler effektiv und gewinnbringend einzusetzen. Denn durch die Abnahme großer Mengen bringen sie hohe Umsätze ein. Die richtige Balance zwischen dem direkten Verkauf der eigenen Produkte sowie dem Vertrieb über Händler sollten also das Ziel sein. Daraus kann sich für Kunden ein weiterer Vorteil ergeben: Verfügt der Hersteller nicht über ein stationäres Geschäft, sondern nur über einen eigenen Shop, bietet sein Ware aber zusätzlich im stationären Fachhandel an, kann der Kunde das gewünscht Produkt physisch betrachten, aber im Anschluss beim Hersteller selbst kaufen und zum Beispiel von Rabattaktionen und besserem After-Sales-Service profitieren.
Der Direct-to-Consumer-Vertrieb hilft ebenfalls dabei, die Kontrolle über Vertriebs- und Marketingkosten zu behalten. Gezieltere Marketingkampagnen und effizientere Vertriebsprozesse halten die Kosten niedrig. Und auch hier spielt die Kundenbindung eine Rolle, da wiederkehrende Kunden einen höheren Customer Lifetimes Value haben und zur Stabilisierung der Gewinnmargen beitragen.
Wie erfolgreich große Marken mit D2C sind
Am deutschen Markt sind mehrere Big Player, die zeigen, wie erfolgreich D2C E-Commerce sein kann. Sie setzen dabei auf Beratung und ein flächendeckendes Angebot. Die besten Produktinfos kann immer ein Hersteller selbst liefern und zudem mit hoher Beratungskompetenz und persönlicher Beratung punkten. Doch auch der Vertrieb über Marketplaces im E-Commerce oder im stationären Handel wird parallel weiter genutzt.
- smart Europe: smart Europe hat sich auf die Echtzeitpersonalisierung im Verkaufsprozess von Elektroautos fokussiert. Nicht nur das Produktportfolio, sondern auch das Business-Model wurde neu ausgerichtet und hat die End-to-End Customer Journey in den Mittelpunkt des D2C-Ansatzes gestellt. Trotzdem nutzt der Autohersteller auch noch Händlerstandorte mit dem bestehenden Händlernetzwerk.
- Birkenstock: Das sehr traditionsbewusste und konservative Unternehmen hat in den vergangenen Jahre eine 180-Grad-Wendung hingelegt. Die rein stationäre Strategie wurde auf E-Commerce und D2C ausgeweitet und brachte dem Unternehmen einen riesigen Aufschwung. Mittlerweile sind Birkenstock-Produkte in ganz Europa zu einem Lifestyle-Produkt geworden. So eine Optimierung und Transformation schafft nur eine Marke selbst.
- Nike: Auch in Deutschland kann man auf der Webseite seine eigenen Sneaker customizen und so seinen individuellen Turnschuh erhalten. Dennoch verkauft Nike auch weiter über Drittanbieter. Hier gibt es dann meist die Gesamtkollektion, jedoch ohne Möglichkeit zum Customizing.
- GoPro: Bei GoPro handelt es sich um eine digital native Brand. Im eigenen Online-Shop sind die Preise zwar höher als über Plattformen wie idealo, doch GoPro setzt auf eine langfristige Kundenbindung: So gibt es zum Beispiel Gutscheine für weitere Käufe oder Zubehör, um den Customer Lifetime Value zu erhöhen. So kann der Kunden wählen, was für ihn besser ist: ein günstiger Preis im Handel oder die längerfristigen Vorteile direkt beim Hersteller.
Entwicklung einer D2C-Strategie
Zunächst einmal gilt es, die technischen und operativen Fähigkeiten aufzubauen. Neben einem guten Webshop ist auch die Anbindung an die dahinterliegenden Systeme mit der Logistik und IT zu bedenken. Gerade die Logistik ist nicht außer Betracht zu lassen. Einige Unternehmen entscheiden sich dafür, Fulfillment-Unternehmen für Dienstleistungen hinzuzunehmen, um die Anforderungen zu stemmen. Denn steigende Auftragszahlen mit einer mangelnden Infrastruktur werden das Wachstum des Direct Sellings eher bremsen. Durch Third-Party-Dienstleister kann das Order Management ausgelagert und automatisiert werden, wodurch Engpässe bei Retouren oder auch Fehler bei Bestellungen vermieden werden und die Artikel nicht in-House gelagert werden müssen.
Customer-Relationship-Management ist ein ebenfalls nicht zu unterschätzender Faktor. Die Pflege von Kundenbeziehung und die Gewährleistung eines optimalen Kundenservices ist ein Must-have im Direktvertrieb. Auch hier besteht die Möglichkeit, sich zunächst externe Hilfe in Form von Dienstleistern zu nehmen. Auch der Einsatz einer Software für Custom-Relationship-Management (CRM) ist wichtig, um Kundenbeziehungen systematisch aufzubauen und langfristig zu erhalten. Direct-to-Consumer denkt vom Kunden aus. D2C-Unternehmen müssen wissen, was ihr Kunde braucht, damit er langfristig eine Beziehung eingeht. Diese sogenannte Customer Centricity muss die horizontale und vertikale Customer Journey umfassen, damit alle Touchpoints verfügbar sind.
Abgängig davon, wie weit die Markenbekanntheit meiner Produkte ist, muss der richtige Vertriebsweg gewählt werden. Sind Marken bereits etabliert und funktionieren operativ, bietet ein eigener Shop als D2C-Business großes Potenzial. Ist das Produkt bisher weniger bekannt, kann der Weg über einen Marketplace vorerst die richtige Lösung sein, denn große Marktplätze wickeln in Deutschland über 50 % des E-Commerce Business ab. Egal, welches Vertriebsweg man einschlägt - ist einer vorhanden, ist der Schritt zum anderen nicht mehr kompliziert. Auch eine Hybridlösung ist denkbar. Es gilt, eine Win-Win-Situation zu finden und nicht einen besseren Preis als der Händler zu bieten.
Wie gehe ich vor, um so eine Strategie umzusetzen?
Um den Direktvertrieb erfolgreich umsetzen, sollte zunächst eine Taskforce gebildet werden, die sich mit den Zielen und der Zielgruppenanalyse auseinandersetzt. Ein E-Commerce Shop muss aufgesetzt und die zugehörige Logistik entwickelt werden. Meist bietet es sich an, mit einem Pilot-Produkt zu starten und es nicht direkt im größten Markt anzubieten, sondern erst einmal Erfahrungen zu sammeln.
Danach sollten sich Unternehmen die folgenden Fragen stellen:
- Wie sieht mein Business Modell aus?
- Was sind die wichtigsten Annahmen im Hinblick auf Kunden und Umsatz und wie realistisch ist es, dass sie eintreten?
- Warum ist mein Shop ein guter Ort zum Kaufen?
- Welche Konflikte habe ich mit anderen Kanälen?
Das A und O ist die entsprechende Organisation. Direct-to-Consumer kann beispielsweise nicht direkt aus einem B2B-Ansatz umgesetzt werden, sondern erfordert neue Strukturen, Prozesse, Abteilungen und auch ein Investment in neues Personal, um die Strategie erfolgreich umzusetzen. Es braucht ein Geschäftsmodell, das auf Kundenloyalität schaut und entsprechende Daten der Kunden sammelt, um nach dem Kauf die Beziehung zu managen - Stichwort Customer Lifetime Value. Anders als beim B2B geht es nicht nur um Produkt-KPIs, sondern insbesondere auch um Kunden-KPIs.
Fazit
Direct-to-Customer ist keine "Entweder-oder-Frage", sondern ein Must-Have. Das D2C-Modell bringt viele Vorteile und großes Wachstum und hat das Potenziale, die eigene Marke auf ein ganz neues Level katapultieren. Auch wenn es häufig große Marken wie Smart oder Tesla sind, ist D2C längst nicht mehr nur für Premiummarken umsetzbar. Vielmehr ist es eine Chance für jeden Hersteller, der ein geeignetes Produkt hat, für das es sich lohnt, den Aufwand zu betreiben. Nicht mehr nur über einen Händler, sondern auch über den Direktvertrieb zu gehen, wird den Handel transformieren. Es gilt, einen USP für die eigenen Produkte zu finden und diesen zu implementieren. Auch digitale Services zu verkaufen oder Altgeräte in Zahlung zunehmen und neue zu einem guten Preis zu verkaufen, sind Möglichkeiten im D2C-Vertrieb - so etwas kann der Handel nicht anbieten. Was der Mittelstand von den D2C-Brands aus dem höheren Preissegment mitnehmen kann: Ein Onlineshop ist verhältnismäßig schnell aufgesetzt, doch die Herausforderung kommt danach: Langfristige Kundenbeziehungen aufzubauen und einen echten Mehrwert zu bieten sind kein Spaziergang.
Sie haben Fragen zu D2C oder wüssten gerne, wie Sie es konkret für Ihr Unternehmen umsetzen können? Wir helfen Ihnen gerne weiter!
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