Alle Jahre wieder
Die Inventur ist unumgänglich, bringt mitunter aber viel Aufwand und hohe Kosten mit sich. Wie Unternehmen mittels Stichprobeninventur Zeit und Geld sparen können.
Publiziert am 08.12.2017
VerkehrsRUNDSCHAU
Stichprobeninventur statt Vollzählung
Das Jahr neigt sich dem Ende zu, das heißt auch Hochsaison für die Inventurverantwortlichen im Unternehmen. Wird die Inventur per Vollzählung abgewickelt, haben nicht nur Lagermitarbeiter alle Hände voll zu tun: Eine Vollinventur kann abhängig vom Lagerbestand schon einmal zwei bis drei Tage in Anspruch nehmen, viele Mitarbeiter aus anderen Abteilungen beschäftigen und nicht zuletzt den kompletten Betrieb lahmlegen.
Es geht unter bestimmten Voraussetzungen aber auch anders: per Stichprobeninventur. Deren Zulässigkeit ist im Handelsgesetzbuch (Paragraf 241 Abs. 1) geregelt.
Dort heißt es: „Bei der Aufstellung des Inventars darf der Bestand (…) auch mit Hilfe anerkannter mathematisch-statistischer Methoden aufgrund von Stichproben ermittelt werden.“ Was „anerkannte mathematisch-statistische Methoden“ im Sinne des Gesetzes sind, regelt eine Stellungnahme des Instituts für Wirtschaftsprüfer (IDW) aus dem Jahre 1981 (in Ergänzung 1990) sowie diverse Schriften der Arbeitsgemeinschaft für Wirtschaftliche Verwaltung (AWV).
Die Stichprobeninventur wird in zwei Hauptverfahren unterschieden: Vier verschiedene Hochrechnungsverfahren, bei denen für einen Wertvergleich Preise herangezogen werden, und der sogenannte Sequenzialtest, bei dem die Mengendifferenz gemessen wird. Ob ein Unternehmen die Voraussetzungen mitbringt, seinen Inventuraufwand mithilfe der Stichprobeninventur zu minimieren, hängt an folgenden Faktoren: Die Grundvoraussetzung besteht daran, dass der Lagerbestand über ein Lagerverwaltungssystem geführt wird. Wirtschaftsprüfer verlangen darüber hinaus ein nach dem IDW Prüfungsstandard 880 testiertes Messverfahren.
Für die meisten Lager geeignet
Diese Testierung sei vergleichbar mit einer allgemeinen Betriebserlaubnis, erklärt Jörg Ökonomou, Geschäftsführer des auf Stichprobeninventur spezialisierten Softwareanbieters Stat Control und Autor des Buches „Rationalisierung von Inventur und Bestandskontrolle“. (Der Ratgeber ist in der Reihe „Essentials“ von Springer Gabler erschienen. Der Verlag gehört wie der Verlag Heinrich Vogel, in dem auch die VerkehrsRundschau erscheint, zu Springer Nature.) „Entgegen anderslautender Angaben, die durchs Internet geistern, muss eine Stichprobeninventur nicht durch das Finanzamt genehmigt werden“, betont Ökonomou. Die Stichprobeninventur komme daher für viele Unternehmen infrage, denn ab etwa 1000 Lagerpositionen sei eine IT-gestützte Lagerverwaltung durchgängig die Regel.
Inventur im laufenden Betrieb
Schon eine ganze Weile auf die Möglichkeiten der Statistik setzt Monacor International aus Bremen. Der europaweit tätige Elektronikspezialist vertreibt unter den Marken Monacor, IMG Stageline und JTS professionelle Sichertheits- und Beschalgungstechnik. Die Auslieferung erfolgt über das Bremer Zentrallager mit rund 4300 Lagerplätzen. Bis Ende der Neunzigerjahre wurde bei Monacor noch in regelmäßigen Abständen eine Vollinventur durchgeführt, die sich über einen Zeitraum von bis zu drei Tagen erstreckte. „Neben den Lagermitarbeitern wurde auch viel Personal aus anderen Abteilungen, etwa aus dem Einkauf und Vertrieb, zum Zählen abgestellt. Das hat immens viel Geld und Zeit gekostet. Der eigentliche Leidensdruck bestand jedoch darin, dass während der Inventur der Lagerbetrieb stillstand“, erinnert sich IT-Leiterin Carmen Lenski.
Monacor nutzt die Software Stasam aus dem Hause Stat Control, die alle vier zulässigen Hochrechenverfahren zur Stichprobeninventur mitbringt. Zu Beginn eines jeden Inventurlaufs werden die Bestandsdaten aus dem ERP-System per Schnittstelle an die Stasam-Software übergeben. Diese analysiert den Bestand und ermittelt die optimale Anzahl der Stichproben, die für die Inventur vorzunehmen sind. Die Ergebnisse der Zählung werden an Stasam zurück gemeldet und bewertet. Bei geringen Abweichungen erfolgen keine „Nachziehungen“ von Artikeln. Bei größeren Abweichungen schlägt Stasam weitere zu zählende Positionen vor. Bei extremen Differenzen kann es im schlimmsten Fall passieren, dass eine Vollzählung durchgeführt werden muss. „Das ist uns glücklicherweise in all den Jahren aber noch kein einziges Mal passiert“, sagt Lenski.
Während der Zählungen werden die betreffenden Artikel im System gesperrt. „Wir führen die Zählungen in der Regel mit drei bis vier Kollegen morgens ab 7 Uhr durch. Jede Zählung dauert circa eineinhalb bis zwei Stunden“, erzählt Lenski. Der laufende Betrieb im Lager werde so gut wie gar nicht beeinträchtigt. Aber nicht nur der Aufwand werde durch die Stichprobeninventur klein gehalten.
„Gemessen an den Personalkosten und vor allem den Kosten, die bei einer Vollinventur durch den Stillstand des Betriebs entstehen, hat sich die Investition in Software-Lizenz und Implementierung sehr schnell amortisiert“,
resümiert Lenski.
Laut Ökonomou spreche aber nicht nur der geringe Zeit- und Kostenaufwand für diese Methode: 30 Prozent der bei einer Inventur gezählten Positionen weisen mehr oder weniger hohe Soll-Ist-Abweichungen auf. „Bei der Vollinventur werden aufgrund des Zeitaufwands in der Regel nur hochwertige Differenzen, etwa ein Drittel, noch einmal überprüft.“ Dabei könnten auch Differenzen im geringwertigen Bereich problematisch sein, wenn die betroffenen Bestände kritisch sind und Zählfehler nicht entdeckt werden, gibt der Stat-Control-Gründer zu bedenken. Bei der Stichprobeninventur hingegen könnten bei Abweichungen deutlich mehr Positionen, auch die geringwertigen, noch einmal nachkontrolliert werden.
Hohe Bestandsgenauigkeit gefragt
Gute Argumente also für die Stichprobeninventur, die laut Ökonomou auch immer mehr Logistikdienstleister einsetzen. Ein Beispiel sei Bertelsmann-Tochter Arvato, die inzwischen fast flächendeckend auf das Verfahren setze. Da Dienstleister oftmals keinen Zugriff auf die Preise der bei ihnen gelagerten Waren hätten, sei der Sequenzialtest als Messmethode für diese besser geeignet, erklärt Ökonomou. Dieses Verfahren erfordere allerdings eine höhere Bestandsqualität als die verschiedenen Hochrechnungsverfahren. Werden keine Toleranzen akzeptiert, umfasst die Mindeststichprobe beim Sequenzialtest 30, mit Toleranzen 55 Positionen.
Was entgegnet Ökonomou eigentlich Unternehmern, die sich mit der statistischen Methode noch nicht anfreunden können? Die besten Argumente pro Statistik liefere jede Wahl: „Wenn um 18 Uhr die Prognosen der Meinungsforschungsinstitute gesendet werden, wird deren Zuverlässigkeit nicht mehr angezweifelt, denn die Abweichung zum amtlichen Ergebnis liegt bei unter einem Prozent“, führt er ins Feld. Diese Prognosen basieren auf einer Basis von drei Prozent der Wähler, die noch im Wahllokal befragt wurden. „Das ist der beste Beweis dafür, dass Statistik funktioniert, wenn man sie richtig anwendet“, so der Stat-Control-Gründer.
Stichprobeninventur
Tipps für die Umstellung
- Stellen Sie sicher, dass das Stichprobenverfahren überhaupt für Ihr Unternehmen infrage kommt. Beziehen Sie daher frühzeitig Ihren Wirtschaftsprüfer ein und lassen Sie sich von einem sachkundigen Anbieter beraten. Grundvoraussetzung für die Stichprobeninventur ist die EDV-basierte Verwaltung des Lagerbestands.
- Wägen Sie die Kosten ab. Eine Vollinventur zieht je nach Aufwand oftmals mehr als die reinen Lohnkosten nach sich. Die Kosten für ein Stichprobeninventursystem setzen sich in der Regel aus einer einmalig anzuschaffenden Lizenz sowie einer jährlichen Wartungsgebühr zusammen. Eine Stichprobeninventur-Software kann aber auch gemietet oder cloud-basiert genutzt werden.
- Vergleichen Sie bei den Anbietern die jeweilige Methodenvielfalt und die Beratungskompetenz. Nicht alle Anbieter haben alle zulässigen Verfahren in ihren Systemen implementiert. Eine gute Indikation sind vorhandene Referenzen. mh
„Wahlprognosen sind der beste Beweis, dass Statistik funktioniert, wenn man sie richtig anwendet.”
Jörg Ökonomou, Gründer Stat Control