Stichprobeninventur
Bei der Stichprobeninventur wird nicht mehr der komplette Warenbestand, sondern nur noch ein kleiner Teil anhand von Stichproben gezählt. Je nach Größe und Beschaffenheit des Lagers lässt sich der Zählaufwand damit um durchschnittlich 95 % reduzieren.
Erläuterungen zur Stichprobeninventur
Die Stichprobeninventur stellt eine deutliche Vereinfachung der zeit- und kostenaufwendigen Vollinventur dar. Mit Hilfe von gesetzlich anerkannten mathematisch-statistischen Methoden wird die Bestandsqualität, also die Informationsqualität der Bestandsdaten im bestandsführenden System (Warenwirtschaftssystem, ERP-System oder Lagerverwaltungssystem), gemessen und eine Aussage über deren Zuverlässigkeit getroffen. Die statistischen Methoden können zusätzlich für unterjährige Bestandskontrollen verwendet werden. Nicht angewendet werden darf die Stichprobeninventur u.a. bei leicht verderblichen Waren oder bei besonders hochwertigen Produkten.
Die Inventurpflicht
Die Inventur ist laut HGB vorgeschrieben, um das Umlaufvermögen aufzunehmen. Erfolgt dies als Vollzählung, sind erhebliche Kosten und Personalaufwände nötig – oft auch Lagerschließzeiten. Hinzu kommen zahlreiche Fehlerquellen bei der Aufnahme, die zu Scheindifferenzen führen und die Qualität der Bestandssicherheit stark gefährden können. Vor diesem Hintergrund wurden gesetzlich verschiedene Inventurerleichterungen zugelassen, wovon die Stichprobeninventur wohl die effizienteste ist.
Die Stichprobeninventur ist gemäß HGB §241 Abs. 1 seit 1. Januar 1977 rechtmäßig: „Bei der Aufstellung des Inventars darf der Bestand der Vermögensgegenstände nach Art, Menge und Wert auch mit Hilfe anerkannter mathematisch-statistischer Methoden auf Grund von Stichproben ermittelt werden. Das Verfahren muss den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprechen. Der Aussagewert des auf diese Weise aufgestellten Inventars muss dem Aussagewert eines auf Grund einer körperlichen Bestandsaufnahme aufgestellten Inventars gleichkommen.“
Aufgaben
Es handelt sich im Wesentlichen um Messverfahren: Geprüft und nachgewiesen wird die Korrektheit der Bestandsführung, also die Übereinstimmung der systemseitig geführten Bestände mit den tatsächlich im Lager befindlichen Artikeln. Wird dies innerhalb der zulässigen Grenzen bestätigt, entfällt die Vollinventur. Der Bestand wird zum Jahresabschluss aus den Systemen übernommen und bewertet (Annahmemethode). Es erfolgt keine Wertberichtigung auf Basis einer Hochrechnung, lediglich festgestellte Mengendifferenzen an den einzelnen Stichproben werden auf der Lagerposition korrigiert.
Voraussetzungen
Um die Stichprobeninventur durchführen zu können, benötigen Unternehmen ein ERP oder WWS. Die Bestandsqualität muss auf einem guten Niveau sein: Eine bestandszuverlässige Lagerbuchführung stellt die Basis dar.
Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW, 1981, S. 61) zählt hierzu auf:
- Vollständigkeit
- Richtigkeit
- Nachprüfbarkeit
- Einzelerfassung der Bestände und bestandszuverlässige Lagerbuchführung
- Körperliche Aufnahme der Bestände
Vorteile
Im Gegensatz zur Vollinventur bringt die Stichprobeninventur einige Vorteile mit sich, denn das Zählen vieler Positionen durch eine große Anzahl von Personen führt zwangsläufig zu Fehlern. Häufig werden zur Vollinventur auch Mitarbeiter herangezogen, die kaum mit der Lagersituation vertraut sind. Hinzu kommt oft Zeitdruck, der auch die Überprüfung von Differenzmengen nur bei hochwertigen Abweichungen erlaubt.
Die Stichprobeninventur...
- reduziert den Zählaufwand um bis zu 95%,
- lässt Kosten, Fehlerquote und Personalbedarf erheblich sinken,
- nimmt den Zeitdruck und Stress von Mitarbeitern und Geschäftsführung,
- ermöglicht eine vereinfachte Planung und Organisation der Inventur,
- erhöht die Prozesssicherheit nach der Inventur,
- vermeidet Lagerschließungen und Produktionsstopps.
Zudem können Stichprobeninventursysteme auch für unterjährige Bestandskontrollen eingesetzt werden. Hier gelten nicht die externen Inventur-Vorschriften, sondern die betriebsinternen Fragestellungen. Durch zusätzliche Stichprobenziehungen in unterschiedlichen Bestandsbereichen und Warengruppen lässt sich die Bestandsqualität kontinuierlich mit überschaubarem Aufwand überwachen.
In welchen Ländern wird die Stichprobeninventur eingesetzt?
Die Stichprobeninventur wurde als Ersatz für die Vollinventur erstmals in Deutschland gesetzlich aufgenommen, in 1981 hat der Hauptfachausschuss des IdW (Institut der Wirtschaftsprüfer) eine ausführliche Stellungnahme zur Durchführung dieser Inventurform herausgegeben. Diese Stellungnahme wurde auf Englisch und Deutsch verfasst, sie ist bis heute maßgeblich und wohl das einzige englischsprachige Regelwerk zur Stichprobeninventur. In Österreich ist die Stichprobeninventur ebenfalls gesetzlich zulässig, die Schweiz akzeptiert diese gleichfalls.
Stichprobeninventursysteme werden auch in einigen inner- und außereuropäischen Ländern durchgeführt, die keine spezifische Rechtsgrundlage zu Stichprobeninventuren haben. Hier muss sich im Einzelfall mit den Wirtschaftsprüfern abgestimmt werden.
In welchen Sektoren und Branchen wird die Stichprobeninventur genutzt?
Industrie
Ursprünglich wurde das Verfahren in großen Industrieunternehmen wie der Siemens AG eingesetzt. Diese hatten in den späten 1970er Jahren bereits erste IT-gestützte Lager und erfüllten somit eine notwendige Bedingung für die Stichprobeninventur.
Seither ist die IT-gestützte Lagerverwaltung längst Standard geworden. Die entsprechenden Programme sind ausgereift, die Prozesse werden immer exakter. Daher ist jedes zeitgemäß geführte Lager im Industrie- und Produktionsbereich geeignet, die Vollinventur durch statistische Verfahren zu ersetzen.
Handel
Der Handel setzt Stichprobenverfahren insbesondere im Lagerbereich ein. Gerade im Großhandels- und Versandbereich, wo schnelle Reaktionszeiten wichtig sind, werden mit diesen Verfahren erhebliche Erleichterungen erzielt.
Aber auch auf der Fläche werden erfolgreich Stichprobenverfahren eingesetzt. Die Eignung hängt dann von der Verfügbarkeit der Bestandsdaten ab.
Logistikdienstleistung
Seit einigen Jahren stellen die Logistikdienstleister von der Vollinventur auf die Stichprobenverfahren um. Die Akzeptanz ihrer Kunden hat sehr stark zugenommen, wodurch der Aufwand erheblich reduziert werden kann.
Versorger
Versorger haben in der Regel eine sehr große Anzahl von Ersatzteilen, die verwaltet und inventiert werden müssen. Anders als bei Industrie- und Handelsunternehmen ist die Umschlagshäufigkeit oft geringer, aber die Kritikalität einzelner Teile sehr hoch. Insofern dürfen hier möglichst keine Inventurfehler passieren. Zudem spielt hier die unterjährige Überwachung der Ersatzteillager eine besondere Rolle.
Inventurerleichterung mit statistischen Verfahren
Bereits seit Ende der 1970er Jahre ist eine Inventur per Stichproben als Ersatz der Vollinventur zulässig (§241 Abs. 1 HGB). Welche mathematischen Verfahren hierfür zulässig und wie diese anzuwenden sind, wurde ab Anfang der 1980er vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IdW) und der Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung (AWV) definiert. Auch wurden die Regeln zur Durchführung und Prüfung ausführlich festgelegt.
Dazu mussten bestimmte betriebliche Voraussetzungen erfüllt werden, die seinerzeit viele Unternehmen noch nicht erfüllen konnten. Das betraf insbesondere eine IT-gestützte, zuverlässige Bestandsführung. Seit etwa Mitte der 1990er Jahre hat sich die Situation hier deutlich verbessert und zeitgemäß geführte Lager erfüllen in aller Regel die geforderten Bedingungen.
Wirtschaftsprüfer erwarten zudem ein testiertes System zur Durchführung von Stichprobeninventuren.
Anerkannte mathematisch-statistische Verfahren
Die anwendbaren Verfahren im Sinne des HGB wurden im Jahr 1981 vom IdW definiert. Grundsätzlich sind vier Hochrechenverfahren und der Sequenzialtest vom IdW als zulässige Stichproben-Inventurverfahren anerkannt. Sie eignen sich für unterschiedliche Lagersituationen.
In konventionellen Lagerbereichen werden in der Regel die Hochrechenverfahren eingesetzt. Sie erfordern eine moderate Bestandssicherheit, der Zählaufwand umfasst etwa 5% der Lagerpositionen.
Dazu werden die Zählergebnisse nach allen vier zulässigen Hochrechenverfahren (Mittelwert-, Differenzen-, Verhältnis- und Regressionsschätzung) ausgewertet. Das Verfahren mit dem genauesten Ergebnis wird zur Dokumentation für die Inventur herangezogen. Hier erweist sich regelmäßig die Regressionsschätzung als das zwar mathematisch anspruchsvollste, aber gleichzeitig genaueste Verfahren.
Als spezielles Verfahren für besonders sichere Lagerbereiche gilt der Sequenzialtest. Er erfordert den geringsten Zählaufwand – im Idealfall lediglich 30 Stichproben. Bei Abweichungen der Zählmengen von den Sollmengen der Stichproben sind weitere Stichproben zu ziehen, was bei unsicheren Beständen zu einem höheren Aufwand führen kann als bei den Hochrechenverfahren. Der Sequenzialtest eignet sich insbesondere für Lager mit einer hohen Korrektheit.
Die Inventurverfahren können sowohl miteinander kombiniert wie auch als permanente Variante über das Jahr verteilt durchgeführt werden, die statistischen Methoden können zusätzlich für unterjährige Bestandskontrollen verwendet werden. Dazu müssen Unternehmen ähnliche Bedingungen wie bei der permanenten Inventur erfüllen.
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